Sonntag, 28. März 2010

Zilpzalp und ausreichend vorhandene Getränke (Leipzig, die Letzte)

Ein Prolog:
Langsam ist der Umstand nicht mehr zu verleugnen, daß ich wohl so etwas wie eine öffentliche Person werde.
Dazu gehört auch die Feststellung, daß- wenn ich hier jemanden in die Pfanne haue- damit rechnen muß, daß die betreffende Person das auch liest, sich in irgendeiner Form bei mir meldet und verständlicherweise nicht übermäßig amüsiert ist.
Nun, zumindest kommt man nicht in den Ruch, im Glauben an vermeintliche Anonymität unentdeckt irgendeinem Schmähschmu frönen zu können... man postet eine Meinung und ist anschließend dazu herausgefordert, zu ihr zu stehen, auch wenn man damit jemanden vor den Kopf stößt.
Man kommt nicht umhin, das eventuell bis zu einem gewissen Grad bedauerlich zu finden; aber dieses Bedauern ändert wenig an den Tatsachen.
Bis jetzt sind die Monster und Mutanten, die ich hier in der Vergangenheit aufmarschieren ließ, weitgehend namenlos; da sich dies in der Zukunft sicherlich ändern wird, sollte ich mir schonmal eine Daunenjacke bereitlegen. Ein kalter Wind wird kommen.
Sollte nun jemand meinen, ich wäre nur darauf aus, in Zukunft eine vakante Stelle im Enfant- Terrible- Bereich einzufordern: um die zu belegen, müßte ich um einiges plakativer werden, und dazu bin ich noch immer zu sehr ich selbst. Was nicht heißen will, daß ich ein ernstgemeintes Angebot in dieser Hinsicht kategorisch ausschlagen würde.

Wo waren wir? Ah ja, Leipzig.
Nach der Lesung Daniela Köglers wollte uns der vive!- Verlag weiter beglücken, also ging es in einen Laden namens "Schlechte Verstecke", wo in einem Hinterzimmer der Kneipe gleich ein Doppelpack auf uns wartete: Iko und Kansbar Wyderle.
Der sehr sympathische Iko (mit dem ich auch in den nächsten Tagen öfter mal zu tun hatte) las "Märchen für Erwachsene" aus seinem Buch "Och nö".
Ich weiß nicht, wie sich diese Geschichten und Gedichte machen, wenn man sie gedruckt vorliegen hat und sie selbst liest; aber vom Autor auf seine eigene, etwas tapsig- charmante Art vorgetragen, entfalteten sie durchaus ihren Reiz und brachten mich einige Male zum Lachen.
Kansbar Wyderle war dagegen ein ziemlicher Kontrast; ein bereits 76 Jahre alter Herr, der aus seinem Roman "Zilpzalp im Weidenlaub" las, mit einer an Johnny Cash gemahnenden leicht brüchigen Stimme und einem damit verbundenen Charisma, das einen in seinen Bann zog.
Zudem ist der Roman, den ich auch gerade lese, nahezu genial: sprachlich ausgefeilt, reich an Metaphern und Details, teils liebevoll- persönlich, teils mit einer geschichtlichen Allgemeinbildung, die faszinierend ist.
Man nehme zum stilistischen Vergleich vielleicht Grass ohne dessen redundantes Geschwafel oder Koeppen; jedenfalls einen faszinierenden Trip durch verschiedene Zeitepochen und Perspektiven, in dem Sätze wie gedrechselt auftauchen, von denen kein einziger überflüssig ist. Ein großartiges Buch; gäbe es eine Gerechtigkeit auf dieser Welt, hätte Herr Wyderle sein schriftstellerisches Talent bereits einige Jahrzehnte früher ausgelebt und stünde heute in Schulbüchern und Kindlers Literaturlexikon.
Stattdessen wurden wir an jenem Abend Zeuge seiner ersten Lesung überhaupt und am folgenden Tag am Stand noch davon, wie er zum ebenfalls ersten Mal sein kürzlich erschienenes Debüt in den Händen hielt.
Ja, Lobeshymnen ist der geneigte Leser von mir wahrlich nicht gewohnt; aber hier sind sie durchaus angebracht.
Danach ging es zurück zur WG, um diese Uhrzeit in Ermangelung öffentlicher Verkehrsmittel gefühlte 3 Kilometer zu Fuß.
Das gab mir zu den auf der Herfahrt genossenen anderthalb Stunden Schlaf endgültig den Rest; hätten die Posaunen zum Jüngsten Gericht gerufen oder die Sirenen der Stadt einen ABC- Angriff angekündigt, ich hätte nicht mal mehr halbwegs interessiert die Augenbrauen gerunzelt.

Nachdem ich nun das Personal in reichlich erschöpfender Weise abgehandelt habe, kann man die nächsten beiden Tage eigentlich durch den Zeitraffer jagen.
Bemerkenswertes:

Spontanlesungen am Stand; am ersten Tag ohne Mikro, aber in Zehn- Minuten- Etappen mit Andrea Mohr und mir (und Iko, glaube ich... weiß ich aber nicht mehr, denn diese Aktion habe ich weitgehend vergessen, was bei derart nicht vorhandener Publikumsresonanz auch nicht verwundert) am zweiten Tag mit Mikro, Hadayatullah Hübsch, der seine Gedichtsammlung "Marock'n Roll" vorstellte, wiederum mir, Iko, Richard K. Breuer und Miriam Spies, die eine Passage des verstorbenen Michael Geißler aus seinen bei gONZo erschienenen Erinnerungen "Acid, Mao und I- Ging" vortrug; dazwischen einen Pausenfüller der besonderen Art: Menschen in Ritterkostümen, die sich in der Nähe unseres Standes befanden, Reklame für irgendeinen Fantasyschinken liefen und mit verteilten Rollen- einmal vernuschelt, einmal röhrend laut- eine Ritterschlacht aus eben jenem Buch vortrugen.
Dazu- an einem Stand in unserer Nachbarschaft- irgendein Wahnsinniger, der im Rahmen seines Vortrags in gewissen vorgegebenen zeitlichen Abständen minutenlang schreiend, kieksend und brüllend mikrophonverstärkt Bongos bearbeitete, bis man den schier unwiderstehlichen Drang verspürte, ihn zu zwingen, diese Dinger zu verspeisen.
Mein Glücksgefühl, nicht mehr bei Book On Demand zu sein, als ich sah, was da aufgefahren wurde: die Reklameplakate, die die Autoren ja- wie alles andere auch- aus eigener Tasche bezahlen müssen, versprachen Pretiosen wie "Die Reisen Magellans in ihrer spirituellen Dimension beleuchtet" und ähnlich weltentrückten Quatsch.
Mein letzter Abend in der WG: zu den grausigen Klängen irgendeines Radiosenders, bei dessen Titelauswahl ich mal wieder mit nutzlosem Wissen glänzen konnte (Moti Special irgendjemand?), arbeitete der gONZo- Tross hart. Und zwar daran, sich sinn- und hemmungslos abzudichten, bis alles zu spät war.
Und ausgerechnet zu Falco's "Vienna Calling" streckte- wie durch Telepathie herbeibestellt- unser Wiener Richard den Kopf kurz zur Küchentür herein, um uns eine gute Nacht zu wünschen.

Ein gutes Motto: durch die böse Zeitumstellung zeigt die Uhr bereits 04 Uhr 31, ich bin- nach meiner heutigen Lesung im Café 23 in Kaiserslautern- rechtschaffen müde und verabschiede mich nun mit einem großen DANKE aus dem Blogkapitel "Leipzig".
Danke an die WG für die Gastfreundschaft, an all die tollen Leute, die ich kennenlernen durfte und hoffentlich wiedersehen werde... und zuguterletzt an Miriam Spies, der ich diese ganzen Erfahrungen verdanke und somit diesen Reisebericht.
Eine gute Nacht. Chrrrn.

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