Samstag, 1. Oktober 2011

1. Curtis Mayfield: Superfly

(ursprünglich gepostet am 19.06.2007, überarbeitet am 01. 10. 2011)

Um einmal kurz das Auswahlsystem zu erläutern:

Wie gehe ich vor?
Ich habe mich dazu entschlossen, keine Liste zu machen, sondern einfach 15 Alben aus diversen bevorzugten Genres vorzustellen, die

a) mir schon seit vielen Jahren auf gleichbleibendem Level gefallen
b) ich vielleicht erst vergleichsweise kurze Zeit besitze (bei einem 20jährigen Sammlerdasein sind das auch mal drei oder vier Jahre), aber sehr oft gehört habe, ohne daß Abnutzungserscheinungen auftreten
c) vielleicht nicht zu den besten Alben des/der Interpreten gehören, aber für mich eine besondere persönliche Bedeutung besitzen.


Starten werde ich mit einem Album, das ich wirklich liebe und das gerne als erste Antwort kommt, wenn ich nach meinen Lieblingsplatten gefragt werde:



Erscheinungsjahr: 1972

von mir gekauft: ca. 1997 im Vinyl Only, Heidelberg


Trackliste:

1. Little Child Runnin' Wild
2. Pusherman
3. Freddie's Dead
4. Junkie Chase
5. Give Me Your Love
6. Eddie You Should Know Better
7. No Thing On Me
8. Think
9. Superfly

Zum Interpreten:

Curtis Mayfield (03. 06. 1942- 26.12. 1999) könnte man aufgrund seiner Lebensgeschichte zurecht unter dem Rubrum "tragische Figur" einsortieren... eine Bezeichnung, die ja nicht gerade wenige Künstler für sich reklamieren.

Doch alles der Reihe nach:

Es begann mit der üblichen gesanglichen Sozialisation im Gospelchor, um dann den Alfatones und schließlich 1956 den Roosters beizutreten, aus denen einige Zeit später die Impressions wurden.
Mit jenen hatte er einige Singlehits ("Your Precious Love" und "People Get Ready", beispielsweise), bevor er 1971 als Solokünstler debütierte. Es erschienen sein Debüt "Curtis" (mit "Move On Up", das einige hier kennen dürften) und "Superfly". Damals feierte er seine größten Erfolge und galt mit seinen treffenden, sozialkritischen Texten, die aber dennoch selten in politische Radikalismen abdrifteten (zumindest meines Wissens nach, ich beharre aber in der Hinsicht auf mein Halbwissen in diesem Punkt nicht auf der Richtigkeit dieser Aussage) als wichtige Stimme der schwarzen Bevölkerung in den USA. Oder als Sprachrohr. Oder als Gewissen. Bitte eine Floskel Ihrer Wahl einsetzen.
In den 80ern geriet er weitgehend in Vergessenheit und veröffentlichte Alben, die einiges an veritabler Grütze beeinhalteten.
Dann der Unfall, eine Verkettung dämlicher Zufälle mit dem schlimmstmöglichen Ende: am 14. August 1990 spielte er ein Open- Air- Konzert in Brooklyn, während dem ein Sturm aufzog. Eine Windböe riß auf der Bühne eine Lichttraverse los, die auf Curtis Mayfield stürzte. Von da ab war er vom Hals abwärts gelähmt.
Nichtsdestotrotz machte er weiterhin Musik, mit Hilfe von Freunden und Bekannten:
er komponierte vom Krankenbett aus und veröffentlichte 1996 das Album "New World Order", aufgenommen mit einem von der Studiodecke hängenden Spezialmikro und der Mitwirkung prominenter Gastmusiker.
1999 starb Curtis Mayfield an den Folgen seines Unfalls und einer Diabeteserkrankung.
Und ich saß vor dem Radio, als die Todesnachricht gesendet wurde und schluckte einen Kloß im Hals herunter, so groß wie ein verdammter Tennisball.

Zum Album:
Manche Dinge kündigen sich unspektakulär an: man macht einen Einkaufsbummel, sieht in einem Plattenladen ein Album, denkt sich "Wow! Reissue im Gatefold auf 180 Gramm Vinyl!", hat zuviel Geld in der Tasche und bezahlt ohne mit der Wimper zu zucken einen unverschämten Preis von 42 Mark. Als Plattensammler hat man manchmal Momente völliger geistiger Umnachtung, wenn man ein Album haben will, jetzt, hier, sofort!
Also fährt man zurück in das Kolleg- Wohnheim, in dem man zu der Zeit in einem schuhschachteligen Zimmer haust (mit der dreckigsten Gemeinschaftsküche, die je ein Menschenaug' erblickt, by the way), legt das Album auf... und auf einen Schlag ist im musikalischen Kosmos nichts mehr wie es war.
Man möchte niederknien, tanzen, heulen, in völliger Ergriffenheit hospitalistisch vor sich hinschaukeln und jubeln gleichzeitig, Kopf stehen, die Balkontür aufreißen und der Welt entgegenschreien, daß sie einen am Arsch lecken kann, weil man gerade die großartigste, wundervollste Musik aller Zeiten hört und einem alles, was da draußen gerade kreucht, fleucht und sich gegenseitig abmurkst in diesem Moment dermaßen egal ist, daß es kaum noch egaler geht, weil nur noch zwei Dinge existieren: man selbst und diese Platte.
Dabei war das Album ursprünglich als Soundtrack zu einem unfaßbar trashigen Blaxploitationstreifen gedacht, in dem auch Curtis Mayfield sich selbst spielend als Musiker in einer Kneipe auftritt. Ein unter cineastischen Gesichtspunkten hochgradig schrottiges Machwerk, das 2000, als ich im Rahmen des AFK- Studentenkinos in Karlsruhe eine Blaxploitationreihe mitorganisierte, bei seiner Aufführung größtenteils amüsiertes, aber verständnisloses Kopfschütteln erntete. Um den Musikjournalisten Albert Koch zu zitieren: nicht jede Scheiße muß Kult werden. In dem Fall ist sie es... und zwar zurecht.
Doch das Album selbst funktioniert durchaus als eigenständiges Kunstwerk:
Es beginnt mit einem schleichenden Orgel-und Percussionintro auf "Little Child Runnin' Wild", dann folgt eine dumpf grummelnde disharmonische Gitarre, die dann abrupt von einem gestochen scharfen Bläsersatz beendet wird,der sich mit einem Streichersatz abwechselt. Da hatte mich die Platte bereits im Sack. Wenn dann Curtis mit seiner charakteristisch hohen Stimme einsetzt, strahlt er eine Ruhe aus, mit der er mich mitnimmt auf seinen eigenen Fluß (oder Flow, oder was auch immer), während im Hintergrund ein durchaus unaufdringliches Saxophon Figuren in Endlosschleifen bläst und immer wieder diese energischen Bläsersätze hereinschneien.
Während er dir sein eigenes Leben als Ghettokind erzählt, gleitet er nie in stimmliche Manierismen ab oder betreibt auf Gedeih und Verderb die in dem Genre oft weitverbreitete Gesangsmasturbation.
Dann kommt der "Pusherman": Curtis als an der Straßenecke stehender Drogendealer, der vorübergehenden Junkies zuraunt:
"I'm your mommy, I'm your daddy, I'm that nigger in the alley...", auch wieder vorwiegend mit Percussionbegleitung, die stark im Vordergrund steht. Eine eher langsame Nummer mit einem treibenden Snarebeat und einem funky Gitarrenlick, während Curtis Mayfield mit gepreßtem Gesang versucht, eben wie ein an der Straßenecke herumlungernder Finsterling zu klingen, was ihm bei seiner Stimmhöhe nicht unbedingt gelingen will.
Danach "Freddie's Dead", ein röhrendes Funkmonster, das eigentlich den Tod einer Filmfigur beklagt, aber als allgemeine Anklage von Drogendealern verstanden werden sollte bzw. wollte:

Said he'd see him home
But his hope was a rope
And he should've known
It's hard to understand
That there's love in this man
I'm sure all would agree
That his misery was his
Woman and things
Now Freddie's dead
That's what I said

Everybody's misused him
Ripped him up and abused him
Another junkie plan
Pushin' dope for the man
A terrible blow
But that's how it goes
A freddies on the corner now
If you wanna be a junkie, wow
Remember freddies dead

We're all built up with progress
But sometimes I must confess
We can deal with rockets and dreams
But reality, what does it mean
Ain't nothing said
'Cause freddies dead


Musikalisch ist das extrem tanzbar, feiste Baß- und Gitarrenriffs tragen den gesamten Song, während ein Streicherteppich für den unglücklichen Freddie ausgerollt wird, auf dem Flöten und Bläser mal kurz herumhüpfen dürfen.
Die "Junkie Chase" ist dann ein Instrumental, ein dominanter Baß, gestochen scharfe Bläser, typische 70er- Autoverfolgungsjagdenmusik. Nicht sonderlich spektakulär, aber ein ganz gutes Ende für die erste Plattenseite.

Zu Beginn der zweiten Seite gibt es mit dem schwülen, aber dennoch unpeinlichen "Give Me Your Love" erst einmal eine Runde wohltemperierte Fickmusik. Man erkennt, der Song gehört nicht unbedingt zu meinen Favoriten, dafür zieht er sich für meine Begriffe zu sehr in die Länge, die Passagen, in denen Curtis nicht singt, haben zuviel mit Percussiongeklöppel und Klaviertupfern aufgefüllten Leerlauf, und nur der Bläsersatz rettet den Song davor, allzu lethargisch dahinzuplätschern. Wobei ich ihm in der richtigen Stimmung mit der richtigen Frau (von mir ausgehend, wer will, kann sich auch einen Mann vorstellen... da verweigert aber meine Phantasie die Mitarbeit ) durchaus Qualitäten zuschreibe. Ähm.
Es folgt das elegische, zurückgenommene, streicher- und flötendominierte
"Eddie, You Should Know Better", gleichfalls für mich ein Song, den ich gerne höre, der aber in mir keine überschäumende Begeisterung auslöst. Doch egal, denn dafür folgt darauf einer der besten Songs der Platte: "No Thing On Me".
Curtis singt zu einer flockigen Popmelodie, gestaltet von fröhlich klingenden Geigern und Bläsern vom Glück, kein Junkie zu sein, sein eigenes Leben im Griff zu haben und keinen Dealer reich zu machen, und das kommt dermaßen unverkrampft, aufrichtig und gutgelaunt daher, daß es einem trotz der möglicherweise vorhandenen Naivität ein Lächeln ins Gesicht dübelt. "Drugs are bad, mmmkay?" Oh ja, Curtis, dir glaube ich das.
Als nächstes wieder ein Instrumental, "Think", mit einer Streichermelodie und einer akustischen Gitarre (glaube ich), die eher folkig gezupft klingt, bevor Bläser in der zweiten Hälfte die Streicher in der Melodieführung ablösen. Sehr entspannt alles, sehr getragen, der ideale Soundtrack zum verkatert Kaffee schlürfen am frühen Morgen.
Und dann mein persönlicher Meilenstein, den ich gerne als DJ auflege und der im Set immer gesetzt ist: der Titeltrack.
Ein prägnanter Baßlauf (dürften einige als Sample in "Eggman" von den Beastie Boys kennen), dann elektrifizierende Bläsersätze, und als Kontrast dazu Curtis Mayfields entspannter, gedämpfter Gesang, wobei dann alles zusammen im Outro des Songs zu einem Crescendo anschwillt und elegant beendet wird. Für mich ein Song für die Ewigkeit, einer meiner absoluten Favoriten. Und damit endet die Platte.

[Und ich ende hier auch. Als ich das damals als ersten Text der Reihe zusammenhaute, traten noch diverse Kinderkrankheiten auf: zu zäh war die Beschreibung der einzelnen Songs, zuviele Begeisterung signalisierende Floskeln rutschten ungebremst in den Text. Im Lauf der Zeit, als diverse Möglichkeiten durchprobiert waren, wurden auch die Texte unterhaltsamer und flüssiger... und werden gegen Ende hin kaum noch Überarbeitungen nötig haben.
Hier habe ich mir noch die Freiheit einiger Kürzungen und Umformulierungen genommen, denn der Text hat mich selbst beim nochmaligen Lesen gewaltig angeödet.
Das Fundament blieb jedoch weitgehend erhalten... und "Superfly" ist und bleibt weiterhin eine großartige Platte.]

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