Freitag, 28. Oktober 2011

15. Sixteen Horsepower: Olden

(erstmals veröffentlicht am 11.07.2010, überarbeitet am 28.10.2011)





Kommen wir zum Abschluß unserer kleinen Reihe. Ich wollte natürlich noch ein Album haben, das wiederum komplett aus dem Rahmen fällt, auch wenn ich dazu nicht übermäßig viel schreiben, sondern nur meine völlige Ergebenheit kundtun kann... insofern ist die Wahl natürlich folgerichtig.


Veröffentlicht:
18.08. 2003


Erstanden:
ca. 2004

im: Studio Eins, Karlsruhe


Besetzung:


David Eugene Edwards (voc/gt)
Pascal Humbert (?)
Jean- Yves Tola (dr)


Trackliste:


Night Owl Session

1. American Wheeze
2. Coal Black Horses
3. Scrawled In Sap
4. Prison Shoe Romp
5. I Seen What I Saw
6. Neck On The New Blade
7. Interview

Kerr Macy Session

8. South Pennsylvania Waltz
9. My Narrow Mind
10. American Wheeze
11. Shametown
12. Train Serenade
13. Strong Man
14. Interview

Live 1994

15. Slow Guilt Trot
16. Low Estate
17. Pure Clob Road
18. Heel On The Shovel
19. Sac Of Religion
20. Dead Run

Es steht geschrieben:

Und der HErr sprach:

"Ungläubiger, der du wandelst auf Erden, höre: verdammt sollst du sein zu kaufen dieses Tonträgererzeugnis, welches hier in meinem Namen zur Erde gesandt ward."
Und der Ungläubige wandte sein Antlitz ab und fürchtete sich sehr;
dennoch betrat er das Haus der Händler, denen er vertraute, zu erblicken das Erzeugnis aufgereiht in einem Regal.
Und darauf ward geschrieben neun Silberlinge;
als der Blutzoll ward entrichtet, ging er zur Hütte, in der er hauste, zu lauschen den unvertrauten Klängen.

Es stand in alten Büchern, daß unfertige Versionen enthalten seien;
doch es erschütterte den Ungläubigen nicht.
Denn auch die vollendeten Versionen hatte er nie gehört;
so daß der Eröffnungsreigen, der da benannt war mit "American Wheeze" sein Ohr umschmeichelte und seine Taubheit bezwang.
Eine Maultrommel erklang, ein pulsend Akkordeon rückte dräuend vorwärts; betäubend klang das Schlagwerk
und die Worte des heiligen Mannes, die da verbreitet wurden, waren voll der Tiefe.

Er sprach in fremden Zungen; verkündete in "Coal Black Horses" die Wiederkehr des Messias, dessen Herrlichkeit strahlen würde in alle Ewigkeit;
und alles war wunderbar, und die Seele der Musik ward eins mit dem Geist des Ketzers.
Zwiespältig war die Lust an dem Getön; seufzen mußte er ab und an und den Verstand entweichen lassen;
zu kraftvoll waren die heiligen Worte, und die Art des Vortrags rührte ihn sehr.

Welch Erhabenheit fand sich in jenen Sätzen, welch Größe und Kunst:


[...]
Yeah you may be the one come on son
Bring your blade and your gun
And if i die by your hand
I've gotta home in glory land

(American Wheeze)

Und wenn der Dichter sich dem Weibe widmete, ergriff es den Ketzer nur um so mehr:

[...]

to the moan in your voice
not a charm do you lack
your skin to touch as a black ravens back
but i cannot go far with these words as they rhyme
as to tell, of the pleasure, your hand in mine


and i pray as i say this song in this way
that your eyes they would close an your head begin to sway
and you'll feel how he heals with his blood on our skin
i am yours lady scrawled an thin[...]

(Scrawled In Sap)

Und es war jenes, was alles unterschied von den üblichen heiligen Gesängen;
der unterschwellige Wahnsinn, der lauerte, die Selbstkasteiung und der Rufer in der Wüste.
Holzhütten zerfielen in der Weite des Landes; große Windräder aus Holz sangen ihr Klagelied, angetrieben durch den Hauch von der Einsamkeit, geführt durch nichts als die Hand Gottes in dunkelster Stunde.

Mitten im Laufe des Tonträgers vernimmt man eine Stimme, die in da spricht:

"There's an intensity, whether you like it or not."

Selten ward die Wahrheit weiser ausgesprochen.



*Buch zuklapp*


Wenn es eine Platte schafft, mich zum Fan einer Band aus wahnsinnigen Wanderpredigern zu machen, die es sogar in Gegenwart recht unwilliger Ohrenzeugen ("Stell bitte diese Christenscheiße ab, oder ich steig aus") schafft, mich dermaßen gefangen zu nehmen, daß ich mich beinahe von der Platte verschluckt fühle;
wenn es sich bei ihr dabei noch dazu eigentlich um Resteverwertung handelt... Demoversionen, die in weniger abgespeckter Form auf den regulären Alben existieren, Radiosessions und Liveaufnahmen;
wenn sie mich noch dazu beim ersten Antesten dermaßen in ihren Bann gezogen hat, daß ich sie nach ca. 30 Sekunden des Openers sofort gekauft habe, um sie immer und immer und immer wieder zu hören, dann muß sie etwas ganz Großes und Bedeutsames sein, oder die Band, die sie veröffentlicht hat, eine der besten Gruppen aller Zeiten.
Oder beides.

"American Wheeze"

in der Version des Openers (neben den zwei Versionen hier findet sich das Original auf dem Debüt "Sackcloth'n Ashes") ist bis heute eines meiner absoluten Lieblingslieder.
Ich mußte mich zuerst einmal an die "regulären" Versionen gewöhnen, als ich die Vorgängeralben endlich einmal hatte; in dem Fall (und im Falle vom erstaunlich flotten "My Narrow Mind" [welches mich musikalisch setsamerweise an "Ice Cream For Crow" von Captain Beefheart erinnert]und dem "Prison Shoe Romp") kann ich das bis heute nicht. Vor allem letzterer ist durch seine punktgenaue Gitarre, mit der er einsetzt und bei welcher trotz aller surrealen Atmosphäre kein Ton zufällig entstanden wirkt, für mich einer der absoluten Höhepunkte der Platte... und wenn dann das Schlagzeug einsetzt, könnte ich, ja, ausflippen. Ein anderes Wort fällt mir gerade nicht ein.

Und die Texte sind dermaßen faszinierend, weil sie in ihrer tiefempfundenen Religiösität auch immer Abgründiges offenbaren.
Das mag nicht meine Welt sein; als große Kunst kann ich das trotzdem würdigen.
Auch wenn mich Absätze wie folgender schon manchmal fragen lassen, was ich mir da eigentlich antue:


[...]
Just as sure as by evil you are torn
The sky will open up an an angel blow his horn
an down come Jesus lookin' so fine
Just as sure as that girl she is mine....
[...]

(Coal Black Horses)


Nun denn. Aber ich habe eine Vorliebe für eine gewisse alttestamentarische Sprache, die noch dazu mit großen Bildern und Symbolen arbeitet... und was Sixteen Horsepower von anderen Quatschbands unterscheidet, ist das erstaunlich seltene Abgleiten ihres Pathos in Hohlheiten.


Große Kunst ist es auch,


eine größtenteils akustische Platte aufzunehmen, die trotzdem stellenweise derartige Zugkraft und Energie entwickelt, daß es einen mitreißt; Liebeslieder zu schreiben, die zum Teil derart pathetisch und prätentiös sind, daß es einen ekeln müßte, aber man stattdessen schwelgt und sich danach fragt, warum; ein Instrument wie das Akkordeon zu spielen, dessen Existenz (samt jener der Leute, die es sich umhängen) im Leben außerhalb dieser Platte zu 90% die pure Folter bedeutet, ohne daß es nervt, im Gegenteil.

Der Gesang mag Geschmackssache sein... daß es David Eugene Edwards häufig schafft, seine Stimme in ein Jodeln überkippen zu lassen, das vor allem in den ruhigen Stücken nur haarscharf an der Schmerzgrenze vorbeischrammt, steht außer Frage.
Genauso steht es aber auch außer Frage, daß die schnelleren Stücke mit ihrer (als Beispiel: "Heel On The Shovel" und gleich danach "Sac Of Religion") vertrackten Rhythmik einen nicht nur staunen lassen, sondern auch einen unglaublichen Bewegungsdrang freisetzen.
Und das bei staubiger Americana, die größtenteils von der Folklore der Appalachen (wer jemals eine Fernsehdokumentation über diese Gegend der USA samt der einheimischen Hinterwäldler gesehen hat, wird umgehend das Wort "Ziegenficker" in seinen Sprachschatz aufnehmen) beeinflußt ist.
Daß sich unter diesen Umständen in ihrem Gesamtwerk auch eine Coverversion von Joy Division findet, verwundert einen da letztendlich doch ("Day Of The Lords" auf "Hoarse"... nun, vielleicht ist es mit diesem Titel doch nicht sooo erstaunlich).

Ich frage mich noch heute, wieso es diese Band geschafft hat, daß ich ihr Oeuvre (abgesehen vom verschnarchten "Folklore"- Album) nicht nur gut, sondern großartig finde, und ihr zu Füßen liege wie kaum einer anderen Gruppe.
Erfreulich, daß es mir nicht als einzigem so geht.

Ein Freund von mir ist im Relapse- Board, also das Label, das der Welt nicht nur die ersten beiden Mastodon- Alben beschert hat, sondern auch- tatsächlich- "In The Eyes Of God" von Today Is The Day.
Eines Tages echauffierte sich ein User wohl über eine Platte mit den Worten "Wenn ihr so eine Scheiße veröffentlicht, könnt ihr auch gleich David Eugene Edwards signen."
Worauf sich der Chef von Relapse höchstselbst zu Wort meldete, und zwar mit nur einem Satz:


"Käme David Eugene Edwards zu mir ins Büro, würde ich ihm ohne Zögern einen unterschriftsreifen Vertrag hinlegen."


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