Donnerstag, 7. Februar 2013

Unvergessene Schnurren

Gestern, vor dem Aufbruch zur Frühschicht: ich sitze um kurz nach fünf in der Küche meiner 2er- WG und nehme mein übliches Frühstück zu mir, bestehend aus einer Tasse Kaffee und Zigarette.
Um meinen Mitbewohner nicht zu wecken, höre ich Radio auf genehmer Lautstärke. SWR 1 dudelt vor sich hin und hat einen Vinyl- Tag angekündigt: 24 Stunden lang spielen die Moderatoren ausschließlich Singles und LP's, was mir weniger wegen der Musik großes Vergnügen bereitet; denn in einem eigentlich durchorganisierten öffentlich- rechtlichen Sender plötzlich Ansager zu hören, die vergessen, den Tonarm abzulassen, was sekundenlange Stille zur Folge hat, oder feststellen, daß in der Hülle der Platte, die sie gerade spielen wollten, eine ganz andere Single steckt (welche sie spontan trotzdem auflegen) bzw. ihre Kollegen fragen, ob die nun angekündigte Platte auf 33 oder 45 läuft: das ist irgendwie niedlich.
Es erinnert mich an meine Anfänge (und auch manche sonstigen Totalausfälle) bei Radio Bronkowitz und verschafft mir ein wohliges Gefühl der Sympathie für und Solidarität mit den Kollegen da draußen.
Auch wenn ich morgens nicht zwingend 70er- Jahre- Mainstream hören will: es ist wohltuend, daß meine Hörgewohnheiten in Bezug auf um Perfektion bemühtes Formatradio einmal dermaßen restlos außer Kraft gesetzt werden, und ich habe um diese barbarische Uhrzeit trotz allerlei Scheißmusik schon einen Riesenspaß.
Apropos "Hörgewohnheiten": heute fiel mir eine längst vergessene Anekdote wieder ein, die sich 2002 oder 2003 zutrug und mir beim Erinnern ein Lächeln auf's Gesicht zauberte:

damals arbeitete ich im Franziskushaus in der Scheffelstraße in Karlsruhe und betrat auf dem Weg zur Frühschicht eine Bäckerei mit dem Vorsatz, mir zwei Brezeln zu kaufen.
Bedient wurde ich von einem seltsamen Gnom in weißer Arbeitskleidung, der ca. Mitte 40 war und nicht nur einen erstaunlichen Walroßschnauz und einen anachronistischen, längeren Seitenscheitel zur Schau trug, sondern auch unglaublich schäbige Tätowierungen, die aussahen, als hätte er sie sich während unzähliger schlafloser Nächte in der JVA Bruchsal mit Kulitinte und Stecknadel selbst beigebracht.
Daraufhin entspann sich folgender Dialog:

"Guten Morgen, ich hätte bitte gerne zwei Brezeln."
"Zwei Baguettes?"
"Nein, zwei Brezeln."
"Zwei Baguettes?"

Okay, denke ich, der Kerl macht einen lustigen Jokus, um zu dieser nachtschlafenden Zeit die Stimmung zu lockern, also spiele ich mit und sage mit einen freundlichen Lächeln
"Also gut, zwei Baguettes",
worauf er mir mit todernster Miene zwei Baguettebrötchen in eine Papiertüte schaufelt.
"Nein, halt" rufe ich, "ich wollte zwei BREZELN", und deute dabei mit dem Finger auf den entsprechenden Korb in der Auslage. Grummelnd macht er sich an jenem zu schaffen, irgendwann reicht er mir eine gefüllte Papiertüte, ich bezahle und ziehe von dannen.
Nach einigen Metern habe ich Gelüste auf eine mundvoll Brezel, öffne die Tüte und darin befindet sich

EINE Brezel.

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