Dienstag, 2. September 2014

Berliner Impressionen oder: eine Stadt schafft sich ab

Sitze gerade in Berlin- Lichterfelde in der Wohnung eines Freundes und lasse meinen einwöchigen Aufenthalt Revue passieren.
Erfreulicherweise muß ich mittlerweile die Feststellung machen, daß ich weder den Wunsch noch die Notwendigkeit verspüre, hier noch einmal wohnen zu wollen und mir mein früher aufgeblasenes, mittlerweile teilweise irrwitzig expandierendes badisches Kaff samt meinem dortigen sozialen Umfeld ziemlich fehlt.
Aber das ist nicht die einzige Erkenntnis.
Vielleicht hatte ich früher kein Auge dafür, wie überlaufen die Stadt mittlerweile ist. Aber so sehr mich oftmals der Dünkel, die Arroganz und die latente bis offene Fremdenfeindlichkeit der (ironischerweise meistens zugezogenen) Berliner stören, kann ich nicht umhin, mittlerweile auch einen Hauch Verständnis für sie aufzubringen.
Vor allem am Potsdamer Platz sah ich mich mit einer hauptsächlich aus Touristen bestehenden Menschenmasse konfrontiert, die sogar in mir ein Gefühl der unangenehmen räumlichen Enge auslöste. Zudem scheint es für jüngere Berlintouristen einen Dress- und Verhaltenskodex zu geben, der einem schon als relativ Ortsfremden auffällt und auf den Sack geht:
a) trinke Bier und laufe ostentativ mit der Flasche durch die Gegend, und sei es morgens um zehn,
b) trage bei jedem Wetter und zu jeder Uhrzeit eine Pornosonnenbrille, denn in Berlin muß man cool sein.
Und wenn ich mir den mittlerweile völlig piefigen und uninteressanten Prenzlauer Berg anschaue, der eine Art Klein- Freiburg mit dem Flair eine Wohlfühloase für GRÜNEN- wählende Trommelworkshopspießer geworden ist und auf die Beobachtungen meiner in Berlin lebenden Freunde und Bekannten auch nur einen Pfifferling gebe, ist das nur der Anfang. Sogar mein geliebter Wedding, der im Zentrum immer noch so dreckig, unsympathisch und verranzt daherkommt wie in den Tagen, als ich noch dort wohnte, droht langsam seinen Widerstand gegen die Gentrifizierung aufzugeben und wird an seinen Rändern aufgehübscht; von Neukölln, das gerade komplett im Umbruch ist, ganz zu schweigen.
Natürlich ist es irgendwie absurd, den Verlust sozialer Brennpunkte zu betrauern; genauso, wie man die Feststellung treffen muß, daß eine lebendige Großstadt nun einmal ständig im Wandel begriffen ist.
Kreuzberg sah 1954 bestimmt auch noch nicht aus wie heute, genauso wie die Karlsruher Südstadt auch noch nicht seit Jahr und Tag als "Klein- Kreuzberg" bezeichnet wird. In Städten, in denen sich am Stadtbild und der Struktur seit 1949 nichts geändert hat, möchte man auch nicht wirklich wohnen, denn wenn keine äußeren Einflüsse absorbiert werden, werden sie wahrscheinlich von niemandem hereingetragen, und das heißt schlicht und einfach, daß dort keiner freiwillig hinwill.
Und natürlich zahlt Berlin auch die Rechnung für sein jahrelanges, permanentes und nervtötendes "Nabel- der Welt"- Gehupe.
ABER: diesen Wandel mit der Brechstange, der in dermaßen kurzer Zeit erfolgt, daß er sogar mir -der nun wirklich nicht lange hier gelebt hat- auffällt, finde ich trotzdem relativ erschröcklich; die Stadt hat kein charakteristisches Gesicht mehr, sondern nur noch eine amorphe Masse.
Und das hat Berlin nun wirklich nicht verdient.

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